Seattle

Wie mich $10 gesparte Dollar teuer zu stehen kamen

Costco ist mehr als Aldi: Ungleich grösser, mehr Waren, bestimmt noch billiger. Costco ist der hiesige Grosshändler für alle. Bei uns in Mannheim gab es “die Metro”, aber man brauchte einen Gewerbeschein um dort ‘en gros’ einkaufen zu dürfen. Bei Costco kann jeder Mitglied werden. Mein evangelikaler Schwiegervater hat schon lange verstanden, dass es zwecklos wäre, mir altem Heiden von Gott zu predigen. Mit umso grösserem Eifer missioniert er nun für Costco wo er und seine Frau alle paar Monate Sonderangebote wagenweise abschleppen. Er erklärt, dass man bei Costco keine Einkausliste braucht. Stattdessen lässt man sich durch das überreiche Warenangebot inspirieren, er verlasse den Laden immer mit doppelt soviel Ware, wie er dachte. Das hört sich nach einer uramerikanischen Erlösungsgeschichte an. Aber es gibt durchaus Gründe die für den Besuch eines Grosshändlers sprechen. Im Vergleich zu Deutschland sind Grundnahrungsmittel in Amerika sehr teuer. Ich würde schätzen, dass Milchprodukte durchaus das doppelte kosten. Importierte Ritter-Sport Schokolade kostet $4 je Tafel, also mehr als drei Euro (einheimische Schokoladen sind nicht viel billiger und zudem ungeniessbar). Käse kostet um die 5 Euro je 100 Gramm usw.

Mein Schwiegervater und ich sind also bei seinem letzten Besuch in Seattle losgezogen und haben den Wagen vollgeladen. Von dem erstandenen Mehl, Käse, Steaks und Speiseöl zehren wir immer noch. Auch das Klopapier ist noch nicht aufgebraucht. Genau das hat sich jedoch als Fluch erwiesen. Von meinem Schwiegervater augenzwinkernd als “ideal compromise between the needs of a man and a women” beschrieben, machte es zuerst einen guten Eindruck. Ein paar Wochen später war aber der Abfluss verstopft. Und zwar richtig, so grimmig verstopft dass uns nur die Wahl blieb den Klempner zu rufen oder (nach dem Gucken eines Ratgebers auf Youtube) uns eine sogenannte ‘sewer snake’, also eine Rohrschlange auszuleihen. Die Rohrschlange ist ein dickes Stahlkabel aufgerollt auf einer mächtigen Spule, die sich um sich selbst dreht und so das Kabel rotiert während man es Meter für Meter ins Abflussrohr vorstösst. Das muss man im Keller machen, an einer dafür vorgesehenen Öffnung im Hauptabflussrohr. So treibt man die Schlange dann unter einiger Kraftanstrengung aus dem Haus heraus, unter dem Vorgarten durch, bis in den städtischen Kanal in der Mitte der Strasse.

Das Ding ist teuflisch. Das sich unter Motorkraft drehende Kabel darf man nur mit Lederhandschuhen anfassen denn an denen gleitet der nasse Stahl entlang. Ich hatte jedoch mal wieder die Anleitung nicht gelesen, die man mir bei der Ausleihstelle im Baumarkt in die Hand gedrückt hatte und es mit vermeintlich hygienischeren Gummihandschuhen versucht. Der Handschuh blieb am Kabel kleben und riss mir fast den Finger aus. Glücklicherweise war nichts gebrochen oder gerissen, aber die Heilung braucht ihre Zeit. Der Finger reagiert noch Monate später schmerzhaft auf manche Bewegungen. Mein Ehering musste aufgetrennt werden (der Ehebund selbst wurde von der Episode aber bestärkt, Libby hat kräftig mitgeholfen bei der Rohrreinigung, das schweisst zusammen). Die Zuzahlungen für Arztbesuch und Krankengymnastik liessen die am Klopapier gesparten zehn Dollar lachhaft erscheinen.

Seither hatten wir zwei weitere “Vorkommnisse”. Beim zweiten Mal, der Schmerz in meinem Finger war noch deutlich zu spüren, riefen wir einen Spezialisten. Der Mann hasste seine Rohrschlange von Herzen, musste aber Frau und Kind ernähren und war für höhrere Klempneraufgaben noch nicht qualifiziert, wie er mir freimütig erklärte. Nach der Eisenschlange, schickte er eine Kamera durch’s Rohr. Das Video ist für die ganze Welt auf Youtube einzusehen. Kostenpunkt für die Aktion: $385.

(Hier nur weiterlesen, wer sich für technische Details der Abwasserrohrreinigung begeistern kann).

Zuerst war es natürlich eine grosse Erleichterung von der Kamera bestätigt zu bekommen, dass keine strukturellen Schäden an der Leitung festzustellen sind. Und bis auf die ersten 10 Meter wo der Beton der fast 100 Jahre alten Rohre sehr aufgerauht ist, sieht die Leitung auch gut aus. Aber diese zehn Meter auf denen zudem nur ein schwaches Gefälle herrscht, sind das Problem. Heute hatte unser Haus zum dritten Mal eine Verstopfung. Langfristig werde ich wohl eine von zwei Möglichkeiten ins Auge fassen: entweder die rauhe Leitung mit einem Kunstoffrohr innen auskleiden lassen (teuer) oder der Leitung eine Häckselpumpe vorschalten (nicht sicher, ob das den Vorschriften entspricht).

Da ich vor der Rohrschlange immer noch einen Horror habe, habe ich heute eine sanftere Rohreinigung ersonnen. An ein bereits im Haushalt befindliches Stahlband habe ich einen Wasserschlauch angebunden um diesen zu versteifen. Während ein Wasserstrahl durch den Schlauch strudelte, schob ich diesen tief in den Untergrund (Libby half wieder tatkräftig). Wir haben dabei offensichtlich den Pfropf durchstossen und  beim Zurückziehen unserer Rohrspülschlange wurde die Verstopfung weggeschwemmt. Welch eine Erleichterung! Keine gebrochenen Finger, keine Fahrten zum Baumarkt um 50 Kilo schweres Gerät auszuleihen und keine $400 für den Klempnergehilfen. Die sanfte Schlange hängt jetzt im Schuppen, bereit für den nächsten Einsatz. Ich überlege, ob ich es patentieren und in China fertigen lassen soll, denn in unserem Viertel hat jedes Haus das gleiche Problem mit den alten Rohren.

Wer’s genau wissen will: wir habe inzwischen auf hauchdünnes, zweilagiges  Klopapier umgestellt das  wesentlich bessere Schwemm- under Zersetzungseigenschaften aufweist als die Luxusware. So etwas gibt es in Europa seit dem Untergang des Sozialismus vermutlich gar nicht mehr zu kaufen.

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